Steuer-Steuern

Kritik an der Kirchensteuer

Die Kirchensteuer (als Annexsteuer), die bekannteste Form der Kirchenfinanzierung, wird aus unterschiedlichen Perspektiven kritisiert. Die Kritik bezieht sich sowohl auf die Steuer als Instrument der Kirchenfinanzierung an sich als auch auf eine Reihe ihrer Auswirkungen und die Folgen ihrer Handhabung in den staatlichen und kirchlichen Raum hinein.


Kritik aus staatskirchenrechtlicher Perspektive

In der Bundesrepublik Deutschland geriet die Kirchensteuer 1973 in Folge der „Freiburger Thesen“ Freie Kirche im Freien Staat des sogenannten „Kirchen-Papiers“ der FDP in die Diskussion, da von der Partei die Trennung von Staat und Kirche und damit die Ersetzung des staatlichen Kirchensteuereinzugs durch ein kircheneigenes Beitragssystem gefordert wurde. In abgeschwächter Form finden sich diese Forderungen auch heute noch im Programm der FDP. Ähnliche Positionen wurden früher außerdem von der Partei Die Grünen formuliert. Auch Die Linke lehnt sowohl die grundgesetzliche Verankerung der Kirchensteuer als auch deren staatlichen Einzug ab. Außerhalb der Politik vertreten unter anderem der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA), die Humanistische Union sowie der Humanistische Verband Deutschlands eine Ablehnung der Kirchensteuer:

* Das Kirchensteuerprivileg widerspreche trotz seiner grundgesetzlichen Verankerung der ebenfalls grundgesetzlich festgelegten Trennung von Staat und Kirche, also der weltanschaulichen Neutralität des Staates.

* Das Hoheitsrecht der Kirchen, als Körperschaften des öffentlichen Rechts Steuern zu erheben, diskriminiere andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die diesen Status entweder nicht erwerben können oder aus Glaubensgründen nicht erwerben wollen. Dieser Kritik entgegen steht allerdings, dass genannter Status grundsätzlich auch anderen Gemeinschaften offensteht.

* Die Anbindung der Kirchensteuer an die Lohn- und Einkommensteuer fordert von allen abhängig Beschäftigten, auf der Lohnsteuerkarte ihren Konfessionsstatus anzugeben. Darin wird ein Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit gesehen.

* § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG gestattet die unbegrenzte steuerliche Absetzbarkeit der gezahlten Kirchensteuer als Sonderausgabe. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung hat dies die „Begünstigung anerkannter Religionsgesellschaften und ihnen gleichgestellter Religionsgemeinschaften aus kirchenpolitischen und sozialpolitischen Erwägungen“ zum Ziel. Kirchensteuer erhebende Religionsgemeinschaften sollen, so die Kritik, durch diese Regelung gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen mit grundgesetzlich verankerter Relevanz, zum Beispiel Parteien und Gewerkschaften, bevorzugt sein. Spenden und Mitgliedsbeiträge an diese Organisationen sind freilich bis zu einer Höhe von 20 % des Bruttojahreseinkommens mit gleicher Wirkung abzugsfähig und damit gleichsam subventioniert (siehe § 10b Abs. 1 EStG).

* Die Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer und der dadurch verbundene Steuerverzicht des Staates stelle eine erhebliche Subvention der Kirchenmitglieder und damit mittelbar der Kirche dar, für 2007 zum Beispiel in Höhe von fast 33 % des Kirchensteueraufkommens.

Zahlen für 2007:

Kirchensteueraufkommen in Deutschland Gesamt: 9.002,94 Mio. Euro

davon von Kirchenmitgliedern getragen: 5.952,94 Mio. Euro (67,1 %)
davon durch Verringerung der Einkommensteuer von allgemeinen Steuergeldern getragen: 2.960 Mio. Euro (32,9 %)[7]

Dieser Kritik wird gelegentlich entgegengehalten, dass die kirchliche Arbeit zu einem großen Teil auch Konfessionslosen oder Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften zugute käme und in ihrer Wirkung nicht auf Mitglieder beschränkt sei.

* Die „fiktive“ Kirchensteuer: Bis zum Jahr 2004 wurde bei allen, auch den konfessionslosen Beziehern von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, des Vorruhestands- und Unterhaltsgeldes sowie des Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeldes ein Abschlag in Höhe der „fiktiv“ anfallenden Kirchensteuer vom Arbeitslosengeld vorgenommen; der Betrag kam den Kirchen nicht zugute. Die Kritik sah darin eine „Verquickung von Staat und Kirche“, denn die „einbehaltene Kirchensteuer“ wurde als „gewöhnlich anfallender Entgeltabzug“ bezeichnet. Erst mit der Neuregelung von ALG II ab 1. Januar 2005 ist diese Regelung weggefallen. Zur Frage der Rechtmäßigkeit dieser bis einschließlich 2004 geltenden Regelung ist noch ein Rechtsstreit beim Europäischen Gerichtshof anhängig.


Kritik aus innerkirchlicher Perspektive

Von kirchlichen Gruppen werden zusätzlich folgende Kritikpunkt angeführt:

* Der Steuercharakter dieser Finanzquelle verschleiere, dass es sich bei ihr um einen persönlichen Mitgliedsbeitrag bei einer Glaubensgemeinschaft handelt.

* Der staatliche Einzug der Kirchensteuer lasse die Kirchen als staatliche Einrichtungen erscheinen.

* Die Anbindung der Kirchensteuer an die Lohn- und Einkommensteuer lasse die Kirchensteuer teilhaben an den Ungerechtigkeiten und Verwerfungen dieser Steuerart. Des Weiteren würden die Kirchen abhängig von der jeweiligen Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik des Staates und von den Tarifpartnern.
* Nur ungefähr ein Drittel der Kirchenmitglieder trage per Kirchensteuer zur Finanzierung der Kirchen bei.

* Der staatliche Kirchensteuereinzug begünstige und verfestige bestimmte Kirchenstrukturen, die Entmündigung der Gemeinden und die Etablierung und Wucherung einer gesamtkirchlichen Bürokratie.

* Auch werden die einzelnen Gemeinden nicht aufgrund der Spendenbereitschaft der Gemeindemitglieder finanziert bzw. unterhalten. Das Personal der Gemeinde müsse sich daher nicht um die finanzielle und organisatorische Ausstattung der Gemeinde kümmern.

* Die Einrichtung der Kirchensteuerkappung bevorzuge Besserverdienende ungerechtfertigt.


Innerhalb der evangelischen und der katholischen Kirche war und ist die Kirchensteuer jedoch weitgehend unumstritten, da das System eine verlässliche und umfangreiche Finanzierung der kirchlichen Arbeit ermöglicht.

Die Kritik aus innerkirchlicher Perspektive wurde katholischerseits von einzelnen Theologen (Horst Herrmann, in neuerer Zeit Paul Zulehner) und von verschiedenen kirchen-kritischen Gruppen vorgetragen, dem „Bensberger Kreis“, dem „Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern e. V.“, der „Initiative Kirche von unten“, Ikvu, dem „Arbeitskreis Halle“ und der „Kirchenvolksbewegung“ bzw. „Wir sind Kirche“.

Auf evangelischer Seite war es zum Beispiel der „Bund gegen Kirchensteuermissbrauch e. V. Bremen“. Der Dietrich Bonhoeffer-Verein hat in den letzten Jahren einen Reformvorschlag erarbeitet („Kultursteuer und Sozialsteuer statt staatlicher Kirchensteuereinzug“), Karl Martin hat diesen Vorschlag in seiner Publikation „Abschied von der Kirchensteuer“ vorgestellt.